Zwei ungleiche Brüder - Lebensgeschichte aus der Sicht eines 1200ers
(von Wolfgang Dingeldein)

"Wir", das sind zwei nach dem merkantilen Wertverständnis der Allgemeinheit schon reichlich betagte VW aus den Modelljahren 1965 und 1966. Unsere Besitzer wollen uns ständig einreden, wir schnitten halt eben im optischen Vergleich mit anderen Käfern gar nicht schlecht ab. Aber was wissen die denn wirklich über uns - die beiden sind ja nur unwesentlich älter als wir selbst.
Die können sich doch kaum noch an die Zeit erinnern, als wir damals vom unaufhörlich arbeitenden VW-Band liefen! Kein Mensch hatte damals je den Mond betreten, die Welt erlebte gerade den Beatles-Boom, die Verbreitung von Minirock und Schwarzweiß-Fernseher, in Deutschland gab es 680.000 freie Stellen und kaum Arbeitslose, der Papst sprach sich energisch gegen die gerade aufkommende Anti-Baby-Pille aus und Sir Winston Churchill war gerade gestorben, als ich im Februar 1965 als biederer 1200er zu meinem ersten Besitzer im Westerwald gebracht wurde!

 

 

 

 

 

 


Mein Erwerber war damals schon etwa doppelt so alt wie der durchschnittliche Besucher dieser Seite an Jahren zählen dürfte und bewegte mich entsprechend bedächtig im Straßenverkehr.

Nach gut drei Jahren gab er mich an einen kaum jüngeren Fahrer ab, bei dem ich 14 langweilige Jahre überwiegend in der Garage zubrachte, um danach zu einer Hausfrau weitergeschickt zu werden. Die geizte sehr mit Wartungsaufwand und setzte mich dem Martyrium einer Feld- Wald- und Wiesenwerkstatt aus. Es kam soweit, dass meine hintere Bremsanlage eines Tages auf recht eigenartige Weise geflickt wurde. Mir ist nie klargeworden, wieviel Verantwortungsbewusstsein ein Monteur aufbringen muss, um rechts hinten einen unterdimensionierten Radzylinder mit 17 mm und links einen mit 26 mm (aus einem ganz anderen Fahrzeugtyp) einzupflanzen. Zudem ruinierte er meine Ankerplatten durch Auffeilen, um die Teile wenigstens unter Tolerierung einer unzumutbaren Schrägstellung der Bremsbacken hinein zu bekommen. Danach war meine Bremsleistung ganz vorzüglich - zumindest auf einer Radseite!


Meine gute Fee kam damit auch prompt auf feuchter Fahrbahn ins Schleudern, und mein Heck musste erfahren, dass Laternenpfähle nun doch mal wesentlich härter als Käferblech sind. Ein spontan von mir begeisterter, aber ausdauerloser Enthusiast wollte dies wieder billig zurechtbiegen lassen und deponierte mich bei einer Werkstatt, bei der ich gut ein Jahr unangetastet Dornröschenschlaf neben einem permanent wachsenden Schrotthaufen halten durfte...

War das ein heißer, mückenreicher Sommer! Mein Lack litt entsetzlich! Glücklicherweise fand sich kurz vor gewaltsamer Räumung der wilden Schrottansammlung ein begeisterter Käferfreund aus dem KTCSI, der mich aus diesem Dilemma befreite! Das war im Winter 1987. Innerhalb eines halben Jahres wurde nicht nur der Unfallschaden beseitigt, wobei ich das intakte Heck eines an Frontschaden gestorbenen Baujahreskameraden eingesetzt bekam. Nebenher gab es noch eine ganze Menge neuer Bleche in Radkästen und Schwellern und zum Schluss einen neuen, maßgeschneiderten fontanagrauen Anzug samt neuer Gummidichtungen.

So sah ich ab 1988 mit dem "Einfahrkilometerstand" von nur 55.000 neuen Aufgaben entgegen. Ein weiterer Besitzerwechsel stand bald bevor - ein Clubmitglied des KTCSI, in dessen Besitz ich bis heute geblieben bin und bei dem es mir nicht an der notwendigen Pflege mangelt.

Mein ein Jahr jüngerer, farbgleicher Bruder (hinten im Bild) hatte es von Anfang an besser als ich. Er durfte immer in einer Garage wohnen, seinen Dienst unter sachgemäßer Pflege bis heute unfallfrei zurücklegen und hatte insgesamt nur drei Besitzer, von denen zwei wahre Käferenthusiasten sind. Auch war seine Ausstattung von Anfang an reichhaltiger (1300er Motor, Schiebedach, Nebelscheinwerfer und viele Chromteile). Dagegen kann ich nur meine weitgehende Originalität setzen. die ich auch behalten möchte, denn ich gehöre noch zur letzten Bundbolzen-Generation, habe ein weißes Lenkrad mit Huptasten, geschlossene Felgen, Bremstrommeln ohne Nabenverrippung, ein am Bodenblech befestigtes Gaspedal, einen Fußabblendschalter und eine Nockenwelle, die sich auch ohne gesonderte Lagerschalen problemlos im Gehäuse dreht. Laien werden uns aber allenfalls an der abweichenden Radkappenform zu unterscheiden versuchen!

Im übrigen geht es uns heute beiden viel, viel besser als zum Zeitpunkt unserer Erstanschaffung - wir bekommen alles was wir brauchen, ohne besonders viel dafür leisten zu müssen.
Manchmal schielen unsere Besitzer aber auch heimlich zu noch älteren Exemplaren - mit Oval- oder Brezelfenster, versteht sich!